Partitur

BITTERMUSIC | wo keine Götter sind walten Gespenster

Streichsextett, hybrides Streichsextett, Soundtrack und Multichannel-Video (19:18, 2021)

 

 

„Was in denen vorgeht, die sich bewusst aus der sprachlichen Kommunikation zurückziehen, können und sollen wir nie genau wissen. Das ist ja genau der Zweck eines strategischen Schweigens: eine Trennung zu signalisieren, Anschlussfähigkeit zu verweigern und eine Asymmetrie des Wissens, das wir voneinander haben können, einzuziehen. In diesem Zusammenhang sind Schweigen und Verschwiegenheit auch mit dem verbunden, was wir ein Geheimnis nennen. (...) Es geht dann um Selbstbeherrschung und Selbstermächtigung.“

 

Fritz Betz, Psychotherapeut, Wien, Interview in science.orf.at, 11.06.2021

 

 

Das klingt wie eine Beschreibung dessen, was einst unter dem Stichwort „neue Musik“ verhandelt wurde. Schroffheit, Stammeln, Verstummen, Nicht-sagen-wollen und deren musikalische Materialisierungen haben ihre Spuren hinterlassen. Nicht mehr das Verstehen von etwas gilt als Ziel künstlerischen Tuns, sondern dessen absichtsvolles Gegenteil. „... eine Trennung zu signalisieren, Anschlußfähigkeit zu verweigern und eine Asymmetrie des Wissens ...“

 

Was als Ausdruck eines zutiefst verletzten Lebens durch Adorno (und andere) in den musikalisch-kompositorischen Diskurs eingeführt wurde, was dieser durch seine Biographie und sein Denken unter Beweis stellte, und was als philosophisch- musikalische „Flaschenpost“ die Jahrzehnte überdauerte, ist drei Generationen und massenhaft reproduzierter Vulnerabilitätsvulgarisierungen später, bloß noch Ausdruck massenhafter Mangelbegabungen. Unverständlichkeit als ästhetisches Paradigma war das große Thema in der „neuen Musik“ nach 1945. In der „Philosophie der neuen Musik“ wurde diese Marschrichtung eloquent ausformuliert und nachhaltig begründet. Angesichts der exorbitanten moralischen Verheerungen schien nichts anderes musikalisch mehr denkbar zu sein als Schroffheit, Stammeln und Verstummen. Alles andere war unangemessen, ja obszön. Sofern Musik mehr sein wollte als bloß eine weitere Verblendungskunst unter vielen anderen, musste sie sich frei machen von einer Menge korrumpierter Traditionen. Wie sollten „Tonalität“, „Schönheit“, „Harmonie“ und „Symmetrie“ noch möglich sein angesichts der unvorstellbaren Verbrechen, die für immer mit dem Namen „Deutschland“ verbunden sind? Sofern Kunst Ausdruck menschlichen Seins ist, dann nur noch unter den Bedingungen der postfaschistischen Wirklichkeit. Und die war verheerend! Viele Künstlerbiographien nach 1945 sind ohne diesen gewaltigen Wahrheitsanspruch nicht vorstellbar: Kunst und Musik können nur noch dann wahrhaftig sein, wenn sie sich bemühen nichts zu beschönigen, nichts zu verschleiern, nichts zuzudecken, sondern „schlimmer werden als die Wirklichkeit“, - wie Adorno verfügte. Diesem Diktum beugten sich viele. Allerdings ohne zu verstehen, dass Kunst NIEMALS schlimmer als die Wirklichkeit sein kann. Wirklichkeit ist IMMER die monströsere Angelegenheit. In der Folge aber wurden zahllose Formen künstlerischer Anschlußfähigkeitsverweigerung inszeniert, oft vom anmaßenden Credo durchdrungen hierdurch WAHR zu sprechen. Nur das Unverständliche, Fremde, Gestammelte konnte wahr sein. Anders als schroff, intransigent, dunkel und abweisend konnte und durfte eine Musik, die WAHR sprechen muss, nicht sein. Zumindest nicht dann, wenn sie nicht als diensteifrige Magd einer durch und durch korrupten „Musik- und MedienIndustrie“ denunziert werden wollte. Das Wahre und das Gute fanden sich nicht wieder im Schönen, wie es äonenlang gültig schien. Diese Drei, die eigentlich als das EINE der Philosophie zu gelten hatten, hatten jegliches moralische Guthaben nach der Nazi-Barbarei aufgebraucht. Auf der Höhe der Zeit nach 1945 zu sein bedeutete nicht mehr oder weniger als die Preisgabe dessen, was seit Menschengedenken unter dem Begriff „Schönheit“ verhandelt worden war. Allein die Verwendung des Adjektivs schön im Kunstkontext, ohne dieses gleichzeitig einzuschränken, zu relativieren oder herabzusetzen, war verdächtig. Zu Recht, denn die Nazis hatten alles „Schöne“, indem sie es barbarisierten und aller Sittlichkeit entkleideten, auf immer beschädigt. Schönheit existiert seitdem nicht mehr, zumindest nicht als „interesseloses Wohlgefallen“. Sie ist und bleibt bis auf weiteres Fragment und volatiler Begriff, eine allgemeine Definition aussichtslos. - Und dennoch ist die Sehnsucht nach ihr, so wage und unbestimmt diese auch sein mag, gegenwärtig. - Aber wie kann das sein? Denn nicht nur Schönheit ist verdächtig. Auch die (mehr oder weniger offen eingestandene) Sehnsucht nach ihr läßt die avantgardistischen Alarmglocken schrillen. Wer sich nach Schönheit sehnt, - so der Verdacht -, steckt mit einem Bein schon heillos fest im Kitschmorast, mit dem anderen aber im reaktionären Lager, das nichts anderes im Sinn hat als die Zeit zurückzudrehen. Wie frei also kann eine unter Verdacht stehende Sehnsucht sein, die sich an einem Schönheitsbegriff abarbeitet, der jeglichen Kredit verspielt hat? Können Sehnsucht und Freiheit nach etwas überhaupt noch sein? Kann man sich noch frei für Schönheit entscheiden ohne sich verdächtig zu machen? Kann man sich überhaupt noch für etwas entscheiden? Oder ist Freiheit nur noch synonymisch mit Dekonstruktion - Destruktion - Aggression zu denken, also mit der systematisch kritischen Entmythologisierung von Allem was der Fall ist - und Sehnsucht daher - als die peinliche kleine Schwester der Freiheit - verleugnet werden muss? -

 

BITTER ist meine Musik deshalb, weil ihr Für-etwas-sein deutlich zu hören ist. Lange habe ich den Paradigmen einer avantgardistischen Moderne vertraut, ihrer Suche nach „Wahrhaftigkeit“ geglaubt und bin ihren ästhetischen Tabus gefolgt. Bis ich verstand, dass es auch den ästhetischen Anschlußverweigerern und Flaschenpostbriefträgern keineswegs um „Wahrhaftigkeit“ geht, selbst dann nicht, wenn ihre ästhetischen Positionen genau das einst einzulösen schienen. -

 

Inzwischen wird die Kopplung einer Neue-Musik-Ästhetik mit philosophisch- moralischem Wahrheitsanspruch als anmaßend zurückgewiesen, zu Recht. Integrität, ethisch, ästhetisch und moralisch, ist nicht mehr an einen bestimmten „Stil“ oder eine „Schule“ oder sonst etwas anderes gebunden - auch wenn die letzten Avantgardisten das zu behaupten versuchen. Letztlich geht es um Aufrichtigkeit, ästhetische Individuation und der mit ihr eng verklammerten Einsamkeit. Einzig diesen Drei wohnt eine Wahrhaftigkeit inne, die authentisch ist. Und in dieser spielen die Götter wieder eine Rolle. Das müssen sie, denn sonst wäre sie nicht zu ertragen! - Aber das ist ein anderes Thema.