FEMBOT

13CH-VideoKontrafaktur (Musik: Magnus Lindberg - „Corrente II“, 16:51) - 2012

 

Was war neu in Ihrer Komposition "Corrente"?

 

Magnus Lindberg: "Ich habe immer nach neuen Möglichkeiten gesucht, danach, mich vollständiger auszudrücken. (...) Aber in "Corrente" versuchte ich, aus dieser gestisch verhafteten Denkungsart herauszukommen. In der gestischen Kompositionsmanier gibt es ein Hauptproblem: Etwas fängt an, etwas hört auf, etwas fängt an, etwas hört auf... Man sucht vergeblich nach Kontinuität im Nacheinander endloser Beliebigkeiten. Ich wollte jetzt die Musik in einer Art kontinuierlichem Prozeß organisieren. Eine Konsequenz davon war, daß meine Musik in mancherlei Hinsicht "klassischer" wurde. Alles ist nun sehr stark mit allem verwoben. (...) "Corrente" ist in der vielgespielten ersten Fassung ein zwölfminütiges Kammerorchesterstück, das ich dann für die kleinere Besetzung meines Ensembles Toimi als "Decorrente" arrangierte und schließlich zum umfangreicheren "Corrente II" für großes Orchester ausarbeitete."

 

Was ist von Bedeutung, wenn Sie davon sprechen, mehr Aufmerksamkeit dem musikalischen Formprozeß zu widmen? Welche Rolle spielen Kontinuität, Wiederholung?

Magnus Lindberg: "Wenn Sie Kontinuität vermeiden, also Wiederholung in irgendeiner Weise, dann gibt es keinen Rhythmus mehr. Rhythmus ist nicht die Aufsplitterung der Zeit in Stückchen. Er bedarf einer sehr einfachen, primitiven Grundlage, und die heißt Wiederholung. Unser ganzes Leben beruht auf Wiederholung. Beethovens Rhythmen sind viel komplexer als die meisten hochkomplizierten Rhythmen, die in unserem Jahrhundert erfunden wurden. Er arbeitet mit der Psychologie des Hörers - mit Erwartungen und plötzlichen Wendungen. Aufbauen und zerstören. Ich bin schon lange besessen von der Frage: Was ist Periodizität in unserer Zeit?"

Wie wichtig ist für Sie heute elektronische Klangerzeugung?

Magnus Lindberg: "Ich habe die elektronischen Mittel schon immer mehr zu strukturellen Zwecken benutzt. Ich kann ohne elektronisch erzeugte Klänge leben. Aber die Kenntnisse, die ich durch ihre Verwendung erlangte, haben meinen gesamten Zugang zum klassischen Orchester verwandelt. Ich habe auch keine ästhetischen Bedenken gegen die Erweiterung des Orchesterklangs mit Hilfe der Elektronik. Aber ich bin sicher, daß völlig künstlich erzeugte Klänge die natürlichen Klänge nicht ersetzen können. Klangliche Synthesen jedoch eröffnen neue Horizonte. Es ist ein Problem, daß künstlich geschaffene neue Klänge oft sehr steril wirken. Aber heute baut eben keiner mehr neue Instrumente. Deshalb ist das Auffinden dieser neuen Klänge gewissermaßen unsere Art "Instrumente zu erfinden".


Die 13CH-Visualisierung/Kontrafaktur beruht auf BildMaterial, das dem Film "Metropolis" (1926) von Fritz Lang entnommen wurde.

 

 

FEMBOT | ATTRACTOR

 

Fembot | Attractor sind zwei Multichannel-VideoKontrafakturen zu Musiken von Ludger Brümmer (Attractor) und Magnus Lindberg (Fembot). Die beiden Werke sind inhaltlich-thematisch eng verknüpft; beide wurden im Rahmen des Festivals NOW! 2012 (Thema: zurück nach vorn) uraufgeführt.

 

Das Verhältnis von Mensch und Maschine ist alt, komplex und oft beschrieben worden. Maschinen dienen der Erwirtschaftung unseres Wohlstands, sie bearbeiten Werkstoffe und beackern Felder. Darüber hinaus sind sie Symbole von Macht, ökonomischer Effizienz und - 'Fortschritt'. Letzterer bezieht sich interessanterweise auch auf die Tatsache, dass Menschen Maschinen bauen, die ihnen selbst immer ähnlicher werden. Offensichtlich besteht die humanogene ATTRAKTION darin, nicht nur dienstbereite Alltagshelfer (TRAKTOREN) zu konstruieren, sondern auch zur Kommunikation begabte Gegenüber herzustellen, die in der Lage sind menschliches Verhalten zu simulieren. FATAL ATTRACTIONS entstehen dann, wenn die nichtmenschliche Herkunft dieser Wesen im Verborgenen bleibt; unterhaltsame Katastrophen, wenn Gier, Sex und Gewalt ins Spiel kommen. Im (Spiel)Film haben Maschinen seit Anfang an bedeutende Rollen gespielt: In "Metropolis" (1926) von Fritz Lang spielt Brigitte Helm eine mechanische Femme Fatale - FEMBOT -, die Revolten auslöst; in Alexander Dowschenkos Film "Erde" (1930) wird ein simpler Trecker zum Auslöser für Umsturz und Gewalt. Beide Filme zeigen, so unterschiedlich sie sind, historische, d.h. längst vergangene Blicke in die Zukunft (- ein spätexpressionistischer deutscher Zukunftsentwurf muss naturgemäß völlig anders aussehen als ein sowjetischer, obwohl beide von gesellschaftlichen Umbrüchen handeln: vom sowjetischen Versuch konnte behauptet werden, dass "die Zukunft" mit ihm eingetreten war; der frühen deutschen Filmindustrie diente "die Zukunft" eher als Negativfolie, so dass die damalige Gegenwart als durchaus erhaltenswert charakterisiert werden konnte). Aus heutiger Sicht betrachtet sind die handelnden (Film)Protagonisten den Maschinen mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert, ob sie nun an sie glauben - und 'Fortschritte' von ihnen erwarten - oder durch sie ins Verderben gestürzt werden - mit klassischer Rettung in letzter Sekunde.

 

Der gegenwärtig-heutige Blick (aus dem Jahr 2012) zurück auf die Blicke unserer Ur|Groß|Eltern nach vorn, gibt auch Auskunft über die wechselvolle Geschichte von Hoffnung und Enttäuschung, Utopie und Scheitern, Aufbruch und Misslingen. Blicke wie diese (nämlich: ZURÜCK NACH VORN) erhellen - incl. der Tatsache, dass sie mitunter sogar zum Festival-Thema werden - unsere Gegenwart insofern, als dass sie dieser vor Augen führen wie genau, exakt, wahrheitsgemäß oder eben nicht unser utopi(sti)sches Erbe gepflegt wird, d.h. wie wir mit den Entwürfen umgehen, die sich als irreal, unmöglich oder zu-früh erwiesen haben. Aus der historischen Distanz fällt es leicht schnellhin Urteile über das Gescheiterte, das Misslungene und das Enttäuschende zu fällen. Man täte allerdings gut daran sich zu vergegenwärtigen, dass auch unsere Jetzt-Zeit irgendwann auf dem Obduktionstisch der Historiker und Medienkünstler landen wird. - Für die Gegenwart folgt daraus: Nichts altert so schnell, wird so brutal entzaubert und reizt so zum unanständigen Lachen wie Avantgardismen, die sich der eigenen historischen Relativität ('Periodizität') nicht bewußt sind - die aktuellen inclusive. - Die Stücke des heutigen Abends reagieren auf diese Tatsache - mittels IRONIE, REDUKTION und andare contro la CORRENTE. -

 

Dietrich Hahne - 2012