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Ritus in 3 Sätzen für Orchester und Multichannel-Video (19:38, 2021)

 

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Ritus in 3 Sätzen für Orchester und Multichannel-Video (20:21, 2023)

 

- Rituale samt der in ihnen artikulierten Formeln und Laute machen nur dann Sinn, wenn mit ihnen ein zutiefst verinnerlichter Glaube an die Existenz übernatürlicher Wesen verbunden ist. Diese sind aus Menschensicht nicht nur allgewaltig und übermächtig, - samt den damit verbundenen Eigenschaften wie strafend, richtend, helfend, heilend, vernichtend usw. -, sondern sie müssen sich in gleicher Weise auch empfänglich zeigen für die in den Ritualen vollzogenen Gesten, Abläufen, Wiederholungen und Inhalten. Gesten, Abläufe und Wiederholungen sind darum nicht leer, sondern sie öffnen die Kanäle durch die wir mit den sonst unerreichbar Existierenden kommunizieren können. Unserem spirituellen Dasein liegt das spekulative Wissen zugrunde, wonach die rituelle Handlung die Allmächtigen zwingt sich uns positiv zuzuwenden. Nur eine erwartbare, freundliche Zuwendung der Allgewaltigen uns Menschen gegenüber, machen Liturgie, Kultus und Ritual zu einer sinnvollen Angelegenheit. Mehr noch: Je größer die Macht der Angesprochenen ist, desto größer muss ihre Empathiefähigkeit sein, menschliches Sein als nicht-belanglos anzuerkennen. Ihre Allmacht muss mit ihrer Empathiefähigkeit korrelieren, ansonsten bliebe das Ritual kalt und leer. Empathiefähigkeit und Machtfülle sind eins, müssen eins sein! Die Form des Rituals ist dabei keine beliebige Option. Nur in seiner richtigen, vorgeschriebenen, seit Jahrhunderten wiederholten, d.h legitimierten Form ist rituelle Wirksamkeit erreichbar. Rituell korrekte Handlungen und Abläufe beschreiben den einzigen Weg Kontakt aufzunehmen, der den Erfolg verspricht, den wir uns erhoffen. Nur dann, wenn wir uns den Allgewaltigen gegenüber entsprechend verhalten, d.h. demütig, respektvoll, (selbst)opfernd und bittend, können wir mit ihrer positiven Zuwendung rechnen, ja, können wir sie nötigen uns anzuhören und uns in unserer Not helfend zur Seite zu stehen. Dann und nur dann sind orendistische Wesen bereit, ihre Zeit und Macht mit uns zu teilen. Zur rituellen Legitimität zählt aber nicht nur die korrekte Form des Rituals, sondern vor allem der richtige Glaube der rituell Handelnden. Nur unbeirrte Rechtgläubigkeit (Orthodoxie) zeigt den Allgewaltigen, dass wir es ehrlich meinen und Aufrichtigkeit unser Handeln bestimmt. Nur ein nicht-korrumpierter, d.h. durch Rationalität nicht relativierter Glaube, erreicht die unerreichbar Existierenden, deren außerordentliche Wirkungsmacht umgekehrt alles und jeden in der Menschenwelt erreichen und beeinflussen kann. Für alle Rituale ist dies essentiell. Ohne Rechtgläubigkeit und die vorausgesetzte Existenz des „außerordentlich Wirkungsvollen“ (Orendismus) ist jede Art von Ritus bloßes Theater. (Wie in der Kunst das Theater ohnehin ein höchst wirkungsloser Ritus ist.) Nur dann, wenn die rituell Handelnden sicher sein können, dass ihr Tun die Wesenheiten, die erreicht werden sollen auch erreicht werden, ist das Ritual erfolgreich. Ob und inwieweit sich die Umworbenen herablassen zu antworten, den Bitten der rituell Handelnden entsprechen und sich den Dingen der Menschenwelt freundlich zuwenden, oder ob sie sich durch falsche Riten und Handlungen konsterniert zeigen, beleidigt abwenden und den Menschen den Rücken zukehren, bleibt ein risikoreiches Spiel. Nicht nur Niobes schreckliches Schicksal soll den Unaufrichtigen, Partialgläubigen, Sonntagspredigern, Heuchlern, Stolzen, Hoffärtigen und Scharlatanen ein warnendes Beispiel sein. Ihr dramatischer Fall ist ernster Weckruf für alle, die Sache ernst zu nehmen: „Hört auf mit kleingläubiger Beschränktheit!“ Wer nicht bei der Sache ist, wenn es ernst wird, wird vom Ernst der Sache beseitigt. In jeder Hinsicht: Weil er entweder den Tod findet, oder - nicht weniger schlimm - von jedweder Rituserfahrung ausgeschlossen bleibt. Das Ritual ist mitnichten eine Sache, der man sich ungefährdet nähern kann um anschließend unbeeindruckt wieder zu gehen. Der Umgang mit dem „außerordentlich Wirkungsvollen“ ist kein Spaß. Die ihm inhärente Unerbittlichkeit macht das Ganze zu einer Angelegenheit auf Leben und Tod. -

 

- Völlig klar, dass Lebensformen wie die hier beschriebenen, nichts als Spott und Lachlust bei den Aufgeklärten, Ungläubigen, Modernen, Atheisten und Gottverleugnern hervorrufen. Für diese ist die Sache nicht ernst, sondern einfach: indem die Existenz aller transzendenten Wesen negiert wird, fällt jede Auseinandersetzung mit ihnen in den Bereich nutzloser Spekulation, oder besser noch: sie findet überhaupt nicht statt. Keine Disziplin hat in den letzten 250 Jahren mehr Federn lassen müssen als die Theologie. Die extreme Infragestellung orthodoxer Gottesbilder und den damit verbundenen Ritualen hat zu der weit verbreiteten Meinung geführt, dass Gott nicht nur tot ist, sondern dass auch alles mit ihm konnotierte Tun nicht viel mehr ist als autotherapeutisches Amateurtheater. Gebete sollen dort Konsistenz erzeugen, wo bloß noch Leere ist, Kirchenmusik ist klebriger Ausdruck für wohliges Gemeinschaftsgedusel, Weihrauchschwenken eine olfaktorisch beeindruckende, aber ansonsten wenig nachhaltige Sinngebung des Sinnlosen. Liturgisch-rituelle Handlungen insgesamt sind bloß einige von vielen weiteren intermedialen Kunstformen, die sich auf dem Kunstmarkt tummeln. Diese sollten sich endlich - wie alle anderen auch - der kunst- und geisteswissen- schaftlichen Analyse stellen: sie sind handwerklich geschickt gemachtes Entertainment und verdienen in jeder Hinsicht wissenschaftlich-analytische Aufmerksamkeit. Wie viele andere Erscheinungen des Ästhetischen auch, sind sie rein menschlicher Provenienz, mehr nicht. Damit gehören sie in den Bereich der Medien-, Bild-, Klang- und Kulturwissenschaften. Jede weitere Tendenz zur Selbsterhöhung, die über das soziologisch gesicherte Normativ-Normal-Menschliche hinausgeht, muss zurückgewiesen und darf als „Priesterbetrug“ denunziert werden. Die Behauptung, Liturgie und Ritual dienten einer sonst nicht zu leistenden Kontaktaufnahme mit einer höheren Macht, muss als Anmaßung dekonstruiert und als Lüge entlarvt werden. Liturgie und Ritual beschwören eine Spiritualität, die längst keine Rückbindung mehr an eine wie auch immer geartete Allmacht besitzt. Schlicht und einfach deswegen, weil diese nicht existiert. Alles andere anzunehmen ist - lächerlich. Bestenfalls sind Rituale und Liturgien tradierte Formen zurückgebliebenen Volkstums, meinetwegen auch Trugbilder und archaische Selbstbespiegelungen. Es sind anachronistische Simulationen von Heiligkeit, denen es an regressiver Realitätsverweigerung nicht mangelt. -

 

- Oha. - Und jetzt? Eine Vermittlung der skizzierten Positionen erscheint undenkbar. Und - ja - das sind sie auch: unvermittelbare, autistisch-autologe Glasperlenspiele. Am besten keine weiteren Gedanken daran verschwenden. -

 

Oder? - Nun, es gäbe eine einzige Position, die in diesem ideologischen Durcheinander einigermaßen rechtschaffen bliebe, aber kaum begründbar ist. Sie lautet: Akzeptiere das Widersprüchliche, ertrage das Alogische, verinnerliche das absolut Unvereinbare. Gott ist tot, weil er lebt. Es gibt kein Leben nach dem Tod, weil unsere Seele unsterblich ist. Rituale im Namen orendistischer Mächte sind sinnvoll, weil sie nutzlos sind. „Sapere Aude“ funktioniert nur, weil „Credo in unum Deum“ gültig bleibt. - Das alles ist nicht vermittelbar, - in einer therapeutisch- durchsoziologisierten Diesseits-Gesellschaft, die das Menschenmaß (inklusive dessen Mittelmäßigkeit) verabsolutiert hat, ohnehin nicht. Nur Wenige dürften ekklatante Widersprüche wie die skizzierten nicht der Lächerlichkeit preisgeben. ///Und diese Wenigen werden auch zu denen gehören, die den Begriff „Vertikalspannung“ nicht im Lehrbuch der Physik suchen, sondern ihn einordnen können als einen, der mit ihnen selbst zu tun hat: als Ausdruck eines exzentrischen Lebens, das - (1) disziplinierte Selbstübungen kennt, selbst im absurdesten Tumult, - (2) in dem Denkexkursionen in jede Richtung unternommen werden, auch nach oben, da wo’s am absurdesten ist, und - (3) stolzen Eremitenmut beweist im Falle des Fallengelassenwerdens durch den dialektisch fixierten Mainstream./// These und Antithese existieren gleichzeitig. Und bleiben es: syntheselos! Hier versagt jede dialektische Formel, nach der aus allen Widersprüchen eine Synthese synthetisiert werden kann. Widersprüche dieser Art sind unaufhebbar. Punkt! Sie bleiben vollständig jeder bei sich, ungerührt, kristallhart, auf ewig unberührbar. Die einzige Möglichkeit eines Umgangs mit ihnen ist, ihre Unaufhebbarkeit zu ertragen. Dies - und die UMWANDLUNG der jeder Vernunft spottenden Zumutung, nämlich Paradoxien stehen lassen zu müssen und ihre alogische Unvereinbarkeit ertragen zu lernen, IN KUNST, ist das Einzige, was als zeitgemäßes, nicht-verlogenes Paradigma aufscheint.

 

Ob mir diese UMWANDLUNG gelungen ist, kann ich nicht beurteilen. Die Titel der beiden Orchesterstücke jedenfalls verweisen auf die Gleichzeitigkeit des Unvereinbaren: Vorwärts ist rückwärts, schwarzes ist weiß, gleißendes ist dunkel, lebendiges verrottet. Lesen Sie die Titel entsprechend! Es sind keine Zaubersprüche, obwohl ich mir alle Mühe gegeben habe, sie als solche erscheinen zu lassen!! Aber das sind nur rhetorische Tricks, Ablenkungsmanöver und Scheineinsätze mit denen ich Sie zu täuschen beabsichtige! Lesen Sie die Titel vorwärts und rückwärts. Sie entdecken nicht schwer zu verstehende Paradoxiemetaphern. Übersetzen Sie sie! Und dann entsteht eventuell ein Verständnis für die UNERBITTLICHKEIT mit der die Musik erklingen muss und Sie das Erklingende zu ertragen haben. Nicht weglaufen. Aushalten! -