PTAH_objects

Pathosmechanik in vier Sätzen für großes Orchester (38:28, 2006-2008 / 2023)

 

      00:00 Prolog

      01:50 Satz I

      10:12 Zwischenspiel 1

 

      11:43 Satz II

 

      17:54 Satz III

      21:41 Zwischenspiel 2

 

      23:03 Satz IV

      36:42 Epilog

 

PTAH ist eine von vielen Gottheiten aus dem altägyptischen Pantheon. Aus einfachen Verhältnissen stammend, gelang ihm im Laufe mehrerer Jahrhunderte der Aufstieg zu einem der zentralen Götter des antiken Ägyptens. Seine Wirkungsstätte war über lange Zeit das Nildelta, das als die fruchtbarste Region Ägyptens den Ehrennamen das „Große Grün“ trug. (Der altägyptische Begriff „Wadj-wer“ erweitert die Region des „Großen Grüns“ bis an die nördlichen Grenzen des ägyptischen Einflussbereichs). Zwar erreichte PTAH nie den Status eines Amun, Osiris oder Re, dennoch ist sein Name auf immer mit der sog. „memphitischen Theologie, der dritten Variante altägyptischer Kosmogonie“, verknüpft, die seiner Macht und Schöpferkraft würdevollen Ausdruck verleiht. Sein Bildnis zeigt - im Gegensatz zu vielen anderen Gottheiten - IMMER einen MENSCHEN, den, mit Kappe und Was-Zepter ausgestattet, eine respektheischende AURA umgibt. PTAH symbolisiert die handwerkliche, architektonische, künstlerische, ästhetische und mentale menschliche Schöpferkraft, die Ägyptens Kultur über 30 Jahrhunderte einzigartig prägte. Dabei ist PTAH der menschheits-geschichtlich erste, dessen mythische WORTE ausreichten, Welt und Licht zu erschaffen.** „Im Anfang war das Wort“ lautet demnach die avantgardistische Botschaft memphitischer Theologie und PTAH war es, der ATUM den Sonnengott erschuf, nicht etwa umgekehrt.

 

PTAH_objects sind solche, die den Menschen und seine Welt erzeugenden Fähigkeiten repräsentieren, mehr noch, die, obwohl sie irdischer Herkunft sind, den Anspruch überirdischer Göttlichkeit omnipräsent in sich tragen. Erstmals mit PTAH gelingt es dem LOGOS sich als Ursprung aller Dinge zu manifestieren. Seine einzigartige Stellung im Kosmos verdankt der zum LOGOS begabte Mensch seiner hybriden Natur. Als Mischwesen, dem zwischen Erde und Himmel sich dauerhaft einzurichten gelang, wurde sein (Macht)Anspruch auf alles was WELT ist, nicht nur allgegenwärtig, sondern durch immer wieder neu formulierte Sprach-, Denk- und Kosmosphantastereien, auch Theologie(n) genannt, legitimiert. Ausgestattet mit einem unvergleichlich robusten Selbstwert gelang dem Menschen endlich, was PTAH jahrhundertelang bloß versinnbildlichte. Kraft seiner Sprachbegabung - die in ptah-gleicher Weise durch „Herz und Zunge“ symbolisiert sind - erreichte der Mensch, die memphitische Gottheit in mythischer Größe endlich überflügelnd, weltumspannende Allmacht. Dieser auch mit „Technologie“ umschreibbare, omnipräsente menschliche Größenwahn ist eng verbunden mit einem skrupellosen Kreationismus, dem die aberwitzigsten Dinge herzustellen nicht unmöglich erscheint. Im Unterschied zum Menschen aber bleibt PTAH Teil seiner pantheonischen Umgebung. Nirgends ist überliefert, dass er die totale Herrschaft über den altägyptischen Götterhimmel anstrebte oder gar erreichte, auch wenn er als Ursprung und Ausgangspunkt memphitischer Kosmogonie gilt. Umgekehrt hat kein irdisches Wesen im Laufe der Zeit ein so anmaßend-selbstherrliches Bild von sich selbst entwickelt wie der logos-begabte Mensch. Als „Krone der Schöpfung“ wurde er nach und nach selbst zum alleinherrschenden SUPREMUM, das sich erdreistete zahllose Götter ptah-gleich ins Leben zu rufen: Jahwe, Gott und Allah sind nur die bekanntesten unter ihnen. Seine unvergleichliche Schöpferkraft stellt die seines archaischen Urbildes inzwischen bei weitem in den Schatten. Die Folge ist, dass das „Große Grün“, das wir „globale Umwelt“ zu nennen uns angewöhnt haben und in der zu leben wir gezwungen sind, irreversibel geschädigt ist. Der Lärm mit dem der Mensch seinen Herstellerstolz feiert, überdeckt seit langem die ptah’sche Achtsamkeit, mit der das Gleichgewicht gewahrt bleiben sollte zwischen dem Verbotenen, - das Neuerung in eins setzt mit Gefahr und Gefährdung -, und dem Möglichen, - in dem die Tradition als Bewahrerin allen schützenwerten Lebens respektiert wird. Das Pathos des Neuen, dem der (moderne) Mensch bedingungslos huldigt, hat der um Ausbalancierung bemühten Achtsamkeit den Kampf angesagt. Obwohl der Mensch sich dessen bewusst ist, ist er weit davon entfernt moralisch integre Schlüsse daraus zu ziehen oder gar sein Handeln zu ändern. Im Gegenteil: statt achtsam zu werden, verhindert die aberwitzige Selbsterhöhung, die in enger Verbindung zur kreationistischen Allmacht steht, und mit der er seine Umgebung unwiderruflich verändert, nicht nur den kritischen Blick auf die Folgen seines zerstörerischen Tuns, sondern nobilitiert dieses auch noch als „kulturelle Leistung höchsten Ranges“. Das lärmende PATHOS, mit der er seine Selbsterhöhung feiert - mitunter auch „Industriekultur“, neuerdings „Digitalität“ genannt , übertönt inzwischen zunehmend den KRACH, der seinem selbstverschuldeten Untergang vorauseilt. In eigener Sache chronisch schwerhörig, werden die Lautstärkegrade menschlicher Maßlosigkeit immer aufdringlicher. Nicht, dass es nicht Menschen gäbe, denen ptah’sche Würde und Stille zu eigen wäre. Aber diese Wenigen stehen als Nicht-Stolze, Nicht-Pathetische, Nicht-Laute meist im Schatten der übereifrigen Fortschrittlichen, denen ein altägyptischer Mythos nicht nur nicht bekannt ist, sondern die diesen, würden sie ihn kennen, als lächerlich und kindisch umgehend dekonstruierten. Dekonstruktion, als robustester Teil des allgegenwärtigen Kreationismus, immunisiert und schützt vor äußerer und innerer Kritik, die dem Fortschrittlichen seinen optimistischen Fortschrittsglauben nur verdächtig machen und als Lebensgrundlagen gefährdenden Prozess vor Augen führen würde. Wie gefährlich wäre das für’s anthropozentrische EGO! Besser ist es darum jeden Bezug auf alles, was dem Fortschritt schadet - wie es mythische Demut zu tun scheint - aufgeklärter Lächerlichkeit preiszugeben. Nur dann bleiben MACHTGEFÄLLE und UNTERORDNUNG, die ein enthemmter Kreationismus den von ihm Infizierten bedingungslos einfordert, gewahrt. Dass das damit einhergehende fiebrige Fortschritts-PATHOS ebenso lächerlich ist und wenig Anlass bietet auf dessen Auswirkungen stolz zu sein, entgeht den Fortschrittsentflammten. Das durch kreationistische Infektion verursachte Fieber führt oft genug zum Tod - meist jedoch nicht zum eigenen. Ein Preis, der für kulturelle Höchstleistungen gern bezahlt wird, - solange ihn andere bezahlen. PATHOSMECHANIKEN zu erkennen und zu dekonstruieren ist in einer Kultur, in der das NEUE, das MACHBARE und das (wirtschaftlich) EFFIZIENTE a priori das absolut Begehrenswerte sind, unmöglich. In ihrem absoluten Begehren diffamieren Fortschrittsentflammte regelmäßig traditionell Überliefertes als rückständig. Das neu-moralische Ethos des „anything-goes“ hingegen wird als das Bessere schlechthin rezipiert. Um die Verkommenheit dieser „Umkehrung aller Werte“ nicht als solche wahrnehmen und benennen zu müssen, erfolgt eine Remythisierung überlieferter Traditionen, aber jetzt im Sinne neumoralischer Doktrinen. Die Neuinszenierung althergebrachter Namen und Mythen dient dazu ihnen subkutan neue, diametral entgegengesetzte Bedeutungen einzupflanzen. PTAH wird, so er als Mythos NICHT einer „entlarvenden“ Lächerlichkeit preisgegeben ist, dem postmodernen, neo-heidnischen Götterhimmel einverleibt („Burning Man Festival“), unter der strengen Maßgabe, sich den neuen irdischen Gegebenheiten anzupassen. Und diese sind es nun - die irdischen (!) Gegebenheiten , die die Götter zu akzeptieren haben. Nicht etwa umgekehrt, wie es jahrtausendelang der Fall war. Die mit PTAHs Namen verbundenen menschlichen Charaktereigenschaften werden ihrer Problematik entkleidet, gleichsam entpathologisiert, und dem neo-mythischen Bedürfnis einer post-aufgeklärten Welt hinzugefügt. Das so entstehende, post-monotheistische, neu synthetisierte „Weltbild“ sorgt wieder für metaphysischen Frieden. Herrlich. Technologie und Mythos sind miteinander versöhnt, zumindest solange die hermeneutische Neubesetzung alter Götter und HimmelsBegriffe nicht kritisch hinterfragt wird. Eigentümer und Entwickler neuer Technologien sind die neuen Mythenerzähler. Ihrer Erzählung verleihen sie Ausdruck durch bild und klangmächtige Materialisierungen - Medienindustrie genannt. Nicht mehr GOTT oder PTAH oder irgend ein anderes transzendentes Wesen verdient Respekt. Technologie ist das neue Ding, das Respekt und Unterwerfung erheischt. Durch immer neue Methoden technologischer Welt- und Werteschöpfung, des transdisziplinären, intermedialen EGO-Designs und der Herstellung zahlloser virtueller Umwelten, erfährt PTAH, ohne das sein Name genannt wird, eine grandiose Umwidmung. Aus dem kleinen Handwerkergott, der sein symbolisches Dasein im altägyptischen Memphis begann, ist ein globaler Alleskönner geworden, der - als repräsentatives Symbol menschlicher Alleskönnerschaft - wieder aufgeladen werden darf mit allem, was Menschen tun. Nicht nur die Erde machen sich die Herren der Welt untertan (1.Mose1,28), sondern auch die vielschichtigen Himmel über ihnen. Als „Kronen der Schöpfung“ sind sie einzigartige Wesen, deren Denken, Handeln und Tun Gottgleichheit beansprucht. PTAH ist Teil einer zeitgenössischen PATHOSMECHANIK geworden, die, um die Welt nicht länger respektieren, sondern als ausbeutbare Resource behandeln zu können, mit neomythischen Szenarien, potemkinschen Dörfern gleich, überschwemmt. Die Zerstörung des „Großen Grüns“, das wir skrupellos betreiben, wird durch sog. kulturelle Höchstleistungen umgedeutet als notwendige Folgen unserer Einzigartigkeit. Dass in dieser grundsätzlich alles, ohne dass es ausgesprochen werden müsste, als WARE verdinglicht, zum KAPITAL verflüssigt wird und stets verbunden ist mit der Aufforderung SICH SELBST als solche allzeit verfügbar zu halten, halten wir inzwischen für ein naturgegebenes Grundgesetz.

 

Eine „Pathosmechanik in vier Sätzen“ versucht dieser trüben Einsicht Ausdruck zu verleihen. Ptah_objects sind mehr oder weniger leere Symbole menschlicher Größe, lärmend-gleichbleibende Routinen ichbezogener Seinsvergessenheit, absurde Seminare über Reichtümerraffung, Machterhalt und Selbstoptimierung. Aufgrund ihrer enormen Lautstärke entfalten diese stets beeindruckende Wirkungen. Die in ihnen zum Ausdruck drängende toxische Willenskraft offenbart über jeden Zweifel erhabene Gier, die sich als naturgegebenes Grundgesetz präsentiert. Gier, die unabwendbare, die unersättliche, die ewig währende, die die PATHOS- MECHANIKEN unerbittlich antreibt.

 

Andererseits gibt es einige wenige (Klang)Inseln in denen ein anderes, ein authentischeres Leben aufscheint. Kaum vorstellbar, dass diese mehr sein könnten als kleine Eilande in einem Meer unseliger Geister. Und doch sind sie genau dies: denn MA’ATs Ordnung überdauert auch diese (vierte) „Zwischenzeit“ - soviel ist sicher. IHRE Welt ist unzerstörbar und ewig. (D.H. 01.03.2023)

 

** - Dem „Schöpfungsmythos von Memphis“ zufolge sprach PTAH die mit dem Herzen gebildeten Gedanken laut aus und erschuf so das Universum, den Kosmos, die Welt. - Kleines Lexikon der Ägyptologie. Harrassowitz, Wiesbaden 2000

 

 

I

 

 

 

II

 

III

 

 

IV